Vereinigte Zünfte zur Gerwe und zur Schuhmachern

Zünfte und Handwerk

Über den Umsturz im Jahre 1336 gibt es nur spärliche schriftliche Dokumente. Schriftlichkeit war im privaten und öffentlichen Bereich ein wenig benütztes Mittel. Immerhin erfahren wir aus einer Urkunde vom 18. Juni 1336, dass die Bürgerschaft, wenige Tage nach dem Umsturz, den Schwur auf die neue Verfassung abgelegt hatte. Die früher zum Teil verbotenen zunftartigen Handwerkerorganisationen wurden nun anerkannt und fest in die Städtische Politik eingebunden. An achter Stelle der damals dreizehn Zünfte sind die Gerber aufgeführt: «Gerwer, wisleder und bermenter ist ein zunft und habent ein banner», also die Rotgerber (Kuh- und Pferdehäute), Weissgeber (Schafe, Wild und andere kleinere Tiere), und Pergamenter. Und an zehnter Stelle die Schuhmacher: «Suter (Schuhmacher), hant ein zunft und ein banner.» Die Zunft zur Schuhmachern war die einzige Zunft, in der nur ein Handwerk eingewiesen worden war.

Heute werden die Zürcher Zünfte oft mit handwerklichen Genossenschaften verwechselt; eine Einschätzung, die ihren Ursprung in der sprachlichen Verwendung des Wortes Zunft hat. Tatsächlich hat Brun in der neuen Verfassung von 1336 unter der Bezeichnung Zunft eine viel umfassendere Organisation geschaffen, die praktisch alle Lebensbereiche durchdrang. Zürich ist damit in der europäischen Zunftlandschaft eine Ausnahmeerscheinung.

Berufliche Zusammenschlüsse, die das gleiche Gewerbe betrieben, gab es in Zürich schon vor der Einführung der politischen Zünfte. Sie wurden Handwerke (antwerk) genannt und wuchsen aus berufsbezogenen Bruderschaften heraus. Ein wesentlicher Bestandteil der bruderschaftlichen Organisationsform war die Sicherstellung eines würdevollen Begräbnisses und das Messelesen.

Die Handwerke wurden in die Zünfte integriert, blieben über 1798 hinaus eigenständig und müssen von den Zünften als politische Institution unterschieden werden. Einfach gesagt, war das Handwerk für das oder die Gewerbe in der Zunft zuständig und die Zunft als Organisation für die Politik. Das Handwerk hatte einen eigenen Obmann und einen eigenen Vorstand.

Die sogenannten Zunft- oder Gesellenbriefe wurden nicht von den Zünften, sondern von den Handwerken ausgestellt. Der Titelsatz auf den schönen Dokumenten hiess stets: «Wir Obmann und ein ehrsam Handwerk der (Schuhmacher, Gerber usw.) in der loblichen Stadt Zürich bescheinigen hiermit...», und diese sind auch unterschrieben vom Obmann eines ehrsamen Handwerkes.

Im Laufe der Zeit erfolgte eine stete soziale Umschichtung. Es entstand zum Teil in den Zünften eine differenzierte soziale Schichtung, indem einerseits die Handwerksmeister und die kleinen städtischen Angestellten und daneben die reichen «Herren» mit den Sitzen im Grossen und Kleinen Rat zwei verschiedene Welten bildeten, die in einer eigenartigen Symbiose zusammenlebten und gemeinsam festliche Anlässe durchführten.

Die Zünfte und ihre Organisationen griffen in das Leben aller Stadtbewohner ein. So waren auch die Familienmitglieder, Frauen, Kinder, Witwen, unverheiratete Frauen (Töchter) in das Sozialgefüge der Zünfte bzw. Des Handwerkes eingebunden. Frauen hatten aber nie ein politisches Stimm- und Wahlrecht. Durch den Zunftzwang war die Durchmischung der Zunftmitglieder vielseitig und aufschlussreich. Neben den Mitgliedern im Handwerk waren so in den politischen Zünften Mitglieder, die keinem der Zunft nahestehenden Handwerk angehörten. So hatte 1797 die Zunft zur Gerwe 93 Mitglieder. Davon waren 21 im Handwerk und daneben 11 Pfarrer, 19 Kaufleute, 9 Privatiers, 3 Offiziere, 7 Staatsbeamte usw.; dazu 20 Witfrauen und 11 Töchter. Bei den Schuhmachern war es nicht viel anders. Die Zunft hatte 116 Mitglieder. Davon waren 40 im Handwerk, daneben 19 Pfarrer, 12 Kaufleute, 5 Privatiers, 5 Staatsbeamte usw.; dazu 23 Witfrauen und 10 Töchter.